Mein erstes Mal
Mein erstes mal
Ich war so scharf drauf, endlich mal auf der Nürburgring-Nordschleife zu fahren. Aber zunächst mal hat es überhaupt nicht geklappt.
Als ich 1965 meinen Führerschein machte, war ich mit Horst Holte befreundet. Der hatte einen wunderschönen BMW Tisa und er holte mich an der Fahrschule ab. Die Tinte auf dem frischen Führerschein war noch nicht trocken, aber Horst ließ mich stundenlang durch die Eifel kutschieren.
Er war es auch, der immer und immer wieder samstags zu meinen Eltern kam und fragte:
„Darf die Jutta mit zum Nürburgring?“
Und immer wieder kriegte er die Gegenfrage:
„Wie lange bleiben Sie da?“
Seine Antwort:
„Übers Wochenende. Sonntag bringe ich Ihre Tochter wieder zurück.“
Und die Reaktion meines Vaters?
„Nein.“
Mein Vater hat ziemlich gut auf mich aufgepasst. Es sollte mir „nichts Schlimmes“ passieren. Dass das schon längst passiert war, (Horst hatte ein Appartement in Mönchengladbach), ahnte mein Vater nicht.
Irgendwann ist Horst dann mit einem anderen Mädel zum Ring gefahren und auf diesem Weg verunglückt. Das Mädel war sofort tot und Horst ist ein Jahr später an den Folgen dieses Unfalls gestorben. Aber das ist eine andere Geschichte…
Schnitt.
Karfreitag 1968. Vor einigen Wochen hatte ich Gerd im MSC Odenkirchen kennengelernt. (Auch das ist wieder eine andere Geschichte.) Freitag vor Ostern hatten wir eine Clubfahrt. Und anschließend wollte Gerd mit mir zum Nürburgring fahren.
Diesmal habe ich meinen Vater nicht gefragt. Schließlich war ich schon 21. Damals war man erst mit 21 volljährig.
„Sage aber keinem was davon,“ sagte Gerd eindringlich.
„Dann wollen alle mitfahren.“
Aha, er wollte mit mir alleine sein. Nun denn. Nach der Clubfahrt haben wir zwei uns denn „verabschiedet“, um uns später draußen wieder zu treffen – und gemeinsam zum Nürburgring zu fahren. Ich war selig und unbeschreiblich glücklich. Endlich, endlich lernte ich den Nürburgring kennen. Ich hatte schon so viel gehört von dieser „grünen Hölle“. Und nun war ich mit Gerd mit einem VW Käfer auf dem Weg dort hin. Unglaublich! Wie oft hatte Horst mich mitnehmen wollen, und nie durfte ich mit. Und jetzt: jetzt ging alles so easy…
Am Nürburgring angekommen, fuhr Gerd sofort zu Start und Ziel. Zu den „grünen Männchen“. Das waren die Kontrolleure. Die wurden deswegen so genannt, weil die immer grüne Overalls trugen. Gerd hatte eine Zehnerkarte. Damals fast eine Sensation!
Einer von den „grünen Männchen“ strich eine Runde auf dieser Zehnerkarte ab. Und dann ging es los: Gerd fuhr mit einer solchen Sicherheit über den Ring, obwohl dieser VW Käfer ja nicht gerade der Prototyp eines Rennwagens war, wie man ihn auf dem „Ring“ erwarten würde. Aber was ihm an PS fehlte, das machte er mit Streckenkenntnis wett.
Damals war die Nordschleife 22,835 Kilometer lang. Eine Zahl, die sich bei mir eingebrannt hatte. Und ich meine, er hatte 172 Kurven. Gerd fuhr so wunderbar souverän und schnell. Wir flogen nur so an den Sonntagsfahrern vorbei. Ich könnte jetzt noch die Kurven blind aufsagen, nach so vielen Kilometern, die ich selbst dort gefahren bin, aber damals war ich schwer beeindruckt.
Nach der langen Geraden an der Döttinger Höhe kamen wir wieder an Start und Ziel an. Gerd stieg aus – und wartete darauf, was ich wohl tun werde.
Und was habe ich getan? Ich habe ihn gefragt:
„Darf ich auch mal eine Runde fahren?“
Da war er baff! Das hatte noch keine Frau nach einer Runde Nordschleife zu ihm gesagt! Und dabei hat er – das gestand er mir später – immer seine Mädels am Nürburgring „getestet“. Er wartete deren Reaktion ab, und fuhr sie dann in aller Regel sofort wieder nach Hause. Dieses Hin und Her und Kurvenfahren und Bergauf- und Bergabfahren und bremsen und in die Kurve rein und wieder raus beschleunigen – nein, das war nichts für seine bisherigen Freundinnen. Denen wurde schlecht. Und meistens musste er noch nicht mal im Kaffee Kuchen spendieren. So übel war ihnen.
Und was war das denn jetzt für eine? Die wollte selbst fahren! Sowas ist ihm noch nie passiert. Er war schwer beeindruckt.
Und die „grünen Männchen“ waren auch sehr beeindruckt. So sehr, dass sie immer und immer wieder auf der gleichen Stelle die Zehnerkarte abgestrichen haben, so dass wir am Ende viele viele Runden gedreht hatten, immer abwechselnd er und ich und sie uns am Ende nur zwei Runden entwertet haben.
Das waren meine ersten „Erfahrungen“ auf dem Nürburgring. So lernte ich einige Kurven kennen, ich lernte, wann und wo ich diese 37 Pferdestärken „stehen lassen“ musste, in welchen Passagen ich überhaupt nicht lenken brauchte, nur das Lenkrad festhalten. Und immer schön auf dem Gas bleiben. Immer abwechselnd: Eine Runde Gerd, eine Runde ich. Und das Gelernte immer sofort umgesetzt. Es war wundervoll!
Nach vielen Runden riskierte ich mal einen Blick auf die Zehnerkarte. Nanu, da waren ja nur zwei Runden abgestrichen. Wir waren aber doch viel viel mehr Runden gefahren als nur diese zehn. Die Auflösung: Die Kontrolleure hatten jede Runde auf dem gleichen Feld angestrichen… Wir waren beeindruckt und fuhren von da an jeden 1. Januar zur Begrüßung des Neuen Jahres zum Ring und brachten den „grünen Männern“ Zigarren und „Eifelgeist“ mit (ein spezielles Getränk aus der Region).
An diesem Karfreitag 1968 fuhr ich nicht nach Hause, sondern mit zu Gerd nach Rheydt. Von diesem Oster-Ausflug bin ich Ostermontag erst nach Hause gefahren. Aber das ist auch wieder eine andere Geschichte. Das war der Beginn einer wunderschönen Freundschaft. Drei Monate später waren wir verheiratet. Und blieben es 38 Jahre lang.
So hat es angefangen mit mir auf dem Nürburgring. Inzwischen habe ich viele tausend Kilometer auf dem Ring gefahren, bin drei Jahre lang die Langstreckenrennen der VLN (Vereinigung Langstreckenrennen Nürburgring) gefahren und und und.
Und was ist heute? Ich fahre nicht mehr so oft hin, obwohl der Ring unser halbes Leben beeinflusst hat. Und es gibt eine wunderbare Erinnerung an meinen Mann: Er ist im August 2005 gestorben – und er wollte, dass seine Asche auf dem Nürburgring verstreut wird. Das habe ich gemacht. Bzw. seine Freunde haben es getan, ich war damals emotional nicht in der Lage.
Aber in meinen Gedanken ist Gerd immer am Ring: Seine Asche liegt auf der Strecke. Die Rennautos wirbeln ihn hoch, er fliegt auf die Blätter der Bäume, und wenn es regnet, regnet seine Asche wieder auf die Strecke. Ein ewiger Kreislauf.